III. Paläographie: Handschriften beschreiben, analysieren und interpretieren
Hände
Zwar lassen sich Entwicklungslinien der Schriftform nachzeichnen, die es uns erlauben, bestimmte Schriften relativ genau in bestimmte Jahrhunderte zu verorten oder eine Handschrift in einer bestimmten Region zu verorten. Dennoch lassen sich auch individuelle Eigenheiten bei jeder Schrift feststellen.
Aufgabe: Denken Sie an Ihre eigene Handschrift und eine Ihnen vertraute Handschrift einer anderen Person (Freund:in, Kommiliton:in, Dozent:in, etc.). Notieren Sie kurz, an welchen Eigenheiten Sie die eigene Schrift von der anderen unterscheiden können: Welche Merkmale machen eine individuelle Schrift aus?
Ausschnitt aus Leipzig, Universitätsbibliothek, Rep. I 4, f. 46r.
In der obigen Abbildung lässt sich erkennen, dass mehrere unterschiedliche Schreiber beteiligt waren. Die oberen Marginalglossen unterscheiden sich in der Schrift deutlich von den unteren. In der Paläographie spricht man davon, dass sich unterschiedliche Hände klar voneinander trennen lassen. Bei großem zeitlichen Abständen lassen sich die Hände über die unterschiedlichen Schriften gut differenzieren; daneben gibt es weitere Kriterien, die gerade dann von Bedeutung sind, wenn die Schreiber ähnliche Schriften verwendet haben: der Neigungswinkel der Schriftschäfte im Verhältnis zur Grundlinie einer Zeile, Höhe und Breite einzelner Buchstaben sowie die individuellen Ausprägungen der Federzüge (Schneider 1999, S. 98).
Aus einer genauen Beschreibung der Hände kann eventuell auf die Chronologie geschlossen werden: Reagiert oder korrigiert eine Hand die andere? Des Weiteren lassen sich über die Inhalte der Kommentare zusätzliche Erkenntnisse zur Überlieferungsgeschichte der Handschrift gewinnen: Wird etwa auf bestimmte andere Texte Bezug genommen, lässt sich daraus schließen, in welchem Umfeld die Handschrift genutzt wurde.