Eine kurze Einführung in die neutestamentliche Textkritik

2. Handschriftenkundliche Grundlagen

Formen und Materialien

Die ältesten neutestamentlichen Handschriften sind in verschiedenen Formen und Materialien überliefert:

  • Rolle: Das klassische antike Buchformat, bestehend aus einem langen, zusammengerollten Papyrusstreifen. Ein bekanntes Beispiel ist die Große Jesajarolle (1QIsaa) aus Qumran, die ausgerollt 7,34 m lang ist. Für Bildmaterial zu Großen Jesajarolle: http://dss.collections.imj.org.il/isaiah

  • Kodex (Codex): Ein gebundenes Buch aus mehreren Lagen, die übereinandergelegt und zusammengenäht wurden. Die großen neutestamentlichen Handschriften sind alle ohne Ausnahme in Kodexform überliefert, obwohl in der Antike Schriftrollen das Standardformat für literarische Texte waren. In Kodexform wurden außerdem nur medizinische Werke und Rechtsbücher überliefert, da sich der Kodex zum Nachschlagen besser geeignet als eine Rolle.

Schreibmaterial und Schriftarten

  • Papyrus war das wichtigste Schreibmaterial in den ersten Jahrhunderten (z. B. Papyrus 72, 3.–4. Jh.).

  • Pergament setzte sich später durch, da es haltbarer war.

Auch die Schriftart ist bedeutsam:

  • Majuskeln (Großbuchstaben) dominieren bis ins 9. Jh. (z. B. Codex Vaticanus B 03, 4. Jh.).

  • Minuskeln (Kleinbuchstaben mit Ligaturen) erscheinen ab dem 9. Jh. und prägen die jüngere Überlieferung.

  • Lektionare sind Handschriften mit liturgisch geordneten Lesetexten.

  • Bilinguen bieten zweisprachige Texte (z. B. griechisch–lateinisch). Beispiele sind der in Paris beheimatete Codex Claromontanus ( D 06), der in Cambridge beheimatete Codex Augiensis (F 010) und der in Dresden beheimatete Codex Boernerianus (G 012).

  • Palimpseste sind wiederverwendete Pergamente, bei denen der ursprüngliche Text abgeschabt und überschrieben wurde – oft können moderne Techniken die alten Schichten wieder sichtbar machen. Das wichtigste Beispiel in der neutstamentlichen Textkritik ist der von Constantin von Tischendorf (1815–1874) schon in jungen Jahren entzifferte Kodex  Ephraemi Syri rescriptus (C 04). Es handelt sich hierbei um eine neutestamentliche Handschrift aus dem 5. Jahrhundert, die später abgewaschen und mit Texten des syrischen Kirchenvaters Ephraem überschrieben wurde.